Realistische Betrachtungen des angehenden Ex-Piraten Gerd Rainer Weber
Der Status
Die Landtagswahl im Saarland ist vorbei und erwartungsgemäß hat die Piratenpartei den erneuten Einzug in den Landtag nicht geschafft. Aus ehemals 7,4% und 35.500 Wählerstimmen in 2012 wurden 0,7% und knapp 4.000 Wählerstimmen.
Eine Hand voll Piraten hat, trotz schlechtester Aussichten, vollen Einsatz in diesem Wahlkampf gegeben. So auch ich, als Landesvorsitzender und als Spitzenkandidat. Schon im vergangenen September sind die Berliner Kollegen gescheitert, und für die kommenden Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und NRW sieht es für die Piraten nicht besser aus.
Was meine Partei angeht, so bin ich müde und frustriert. Es war mir schon länger klar, dass diese Landtagswahl für mich ein Scheideweg sein wird. Fünfeinhalb Jahre lang habe ich mit Überzeugung für die Ideen der Piraten gekämpft. Als Kreisvorsitzender, als Pressesprecher, als Kreistagsmitglied und als Landesvorsitzender habe ich versucht den Menschen in unserem Land unsere Themen, Ideen und Visionen nahezubringen. Offenbar ohne nennenswerten Erfolg. Fünfeinhalb Jahre lang habe ich auch alle internen Abgründe einer jungen Partei miterlebt. Wir mussten etliche Spinner, Profilneurotiker und Karrieristen aussieben. Ich musste aber auch miterleben, dass viele Weggefährten, Menschen, die mir wichtig waren und mit denen ich gut zusammengearbeitet habe, die Segel gestrichen haben.
An diesem Punkt bin ich jetzt auch angelangt. Ich musste mich entscheiden, ob ich mich weiter für eine Partei engagiere, die in Kürze gänzlich in der Bedeutungslosigkeit versinken wird, ob ich ganz mit der Politik aufhöre und vielleicht nur noch mein Kreistagsmandat bis zum Ende der Periode erfülle, schließlich hatte ich zuvor auch 47 Jahre gelebt ohne politisch aktiv zu sein, oder ob ich weitermache, in einem anderen Umfeld mit anderen Leuten.
Die Partei
Es haben schon viele Leute zu analysieren versucht woran die Piraten letztlich gescheitert sind. Im Folgenden versuche ich hier mal einige Gründe aufzuzählen, die ich für ausschlaggebend halte.
An den Ideen und Themen, bzw. am Programm liegt es sicher nicht. Die ehemalige Ein-Themen-Partei hat sich in den vergangenen Jahren programmatisch durchaus erheblich weiterentwickelt. Zum Zeitpunkt meines Eintrittes im Herbst 2011 passte das Grundsatzprogramm auf zwei DIN-A4-Seiten, heute kann es ohne weiteres mit den Programmen anderer Parteien Stand halten. Vielmehr ist es den Piraten nicht gelungen den Menschen in unserem Land die Themen aus dem Programm zu vermitteln, bzw. diese mit der Piratenpartei zu verknüpfen, sprich es mangelte an professioneller Öffentlichkeitsarbeit. So wurde 2013 vor der Bundestagswahl noch nicht mal der NSA-Skandal, eigentlich ein klassisches Piraten-Thema, genutzt um auf die Partei aufmerksam zu machen.
Professionalität ist überhaupt das große Manko. Die Partei an sich hat es auch nicht geschafft sich auf Bundesebene zu professionalisieren. Das ist auch recht schwierig, wenn jährlich ein komplett neuer Bundesvorstand gewählt wird, und die finanziellen Mittel recht bescheiden sind. Gute Öffentlichkeitsarbeit muss bezahlt werden und ehrenamtliche Bundesvorstände können auch keinen vollen Einsatz für die Partei bringen, wenn sie zum Bestreiten ihres Lebensunterhaltes arbeiten müssen. Auch in den Landesverbänden arbeiten die Vorstände ehrenamtlich = umsonst, was m.E. allerdings kein Problem darstellt.
Professionalisierung bedeutet auch einen finanziellen Rahmen zu schaffen mit dem man arbeiten kann. Hierzu gehört schon mal, dafür zu sorgen, dass die Mitgliedsbeiträge auch alle eingehen. Die Beiträge sollten moderat erhöht werden und letztlich hat man in den vergangenen fünf Jahren versäumt die Mandatsträger verbindlich an der Parteifinanzierung zu beteiligen.
Letztlich fehlte es auch an „Charakterköpfen“, welche die Themen der Piraten bundesweit vertreten. Gerne erinnern wir uns hier an Marina Weisband zurück. Leider hat eine große Mehrheit innerhalb der Partei immer die Leitlinie „Themen statt Köpfe“ verfolgt. Mir war 2011 schon klar, dass das in der Politik nicht funktioniert und wir sind im Saarland diesbezüglich auch einen anderen Weg gegangen. Politik wird nun mal von Menschen mit Menschen für Menschen gemacht.
Auch die Pläne des aktuellen Bundesvorstandes mit verschiedenen Kleinstparteien, die inhaltlich in eine ähnliche Richtung ticken zusammenzuarbeiten, bzw. sogar zu fusionieren halte ich nicht für zukunftsfähig. Solche Dinge müssten auf einem Bundesparteitag beschlossen werden und dort scheitern allzu oft schon wesentlich einfachere Dinge.
Der Landesverband
Was haben wir nicht alles mitgemacht seit 2011! Die Mitgliederzahl ist von 10/11 bis 06/12 von ca . 90 auf 500 explodiert und danach wieder kontinuierlich zurückgegangen auf jetzt 230. Wir haben in 2012 sechs Kreisverbände gegründet und vier Landtagsmandate errungen, davon eines Anfang 2015 wieder verloren. 2014 haben wir 15 kommunale Mandate errungen und davon wieder 6 verloren, nach einer Zeit relativer Harmonie in 2013 und 2014 interne Streitigkeiten durchgemacht und mehr oder weniger überwunden. Jedes Mal einhergehend mit dem Verlust von Aktiven. Meine knapp zweieinhalb Jahre als Landesvorsitzender waren daher alles andere als vergnügungssteuerpflichtig. Meine übrig-gebliebenen aktiven Mitstreiter werde ich auch wirklich vermissen, sind sie doch engagierte, couragierte, clevere und intuitiv gute politisch denkende Menschen.
Ich wünsche mir, dass alle, die ich zurücklasse, der Politik erhalten bleiben, ggf. auch mal in einer anderen Partei. Genauso freue ich mich, dass die Saar-Piraten auch einige gute Politiker hervorgebracht haben, die immer noch aktiv sind, wenn auch woanders.
Die Zukunft
Als ich mir nun Gedanken machte wo ich meine politische Arbeit fortführen möchte, so war die in Frage kommende Auswahl hier im Saarland für einen Piraten recht begrenzt. Bei genauerem Hinsehen verblieb mir persönlich keine wirkliche Auswahl.
CDU: Ist für jeden Piraten eigentlich ausgeschlossen, für mich sowieso, es gibt allerdings auch einen offenbar (jetzt oder zuvor) völlig fehlgerouteten ehemaligen Kollegen, der dort hin gewechselt ist.
FDP: Liberalismus ist an sich eine gute Sache, wenn man nicht, wie die FDP, in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts dessen soziale Komponente gänzlich an die Wand nagelt. Ansonsten fehlt ist hier schon lange an Profil und im Saarland ist diese Partei ein besonders schlechtes Beispiel.
Die LINKE: Ist mir persönlich manchmal zu links, und hier im Saarland innerparteilich zu sehr zerstritten. Den Kampf gegen die Windmühlen könnte ich inhaltlich eh niemals mittragen. Dann ist auch fraglich, wie es hier im Saarland weitergeht, wenn deren Ikone, Oskar Lafontaine, der die Partei sehr dominiert, sich aus der aktiven Politik zurückzieht. Gleichwohl gibt es dort eine Handvoll engagierter junger Leute, die ich für sehr fähig halte.
GRÜNE: Bundesweit entwickeln sich die Grünen ja langsam zu Umwelt-Konservativen. Die Tendenz Menschen mit Vorschriften zu maßregeln widerspricht auch meiner Piratenseele. Der saarländische Landesverband wird mir zu sehr von seinem Landesvorsitzenden und seinen Getreuen dominiert, was zur Folge hat, dass in Westdeutschland diese Partei nirgends so schlecht dasteht, wie im Saarland. Die Quittung hierfür gab es bei der Landtagswahl. Im neuen Landtag sind die Grünen nicht mehr vertreten.
Was bleibt noch? Eigentlich nur die:
SPD: Das alte Flaggschiff der Arbeiterbewegung, welches in den vergangenen Jahren voller GroKo-Gekuschel sein Profil verloren hat, was auch prompt von den Wählern abgestraft wurde. Nun hat man in meiner Familie zumeist schon immer SPD gewählt und ich selbst habe das früher auch meist getan, aber werde ich in einer etablierten Großpartei klarkommen? Nun, viele gesellschafts- und sozialpolitische Ziele decken sich mit denen der Piraten. Okay, Befürworter des Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) werden dort sicher noch gebraucht, ebenso Verfechter des fahrscheinlosen ÖPNV, Netzpolitik und Datenschutz haben nicht gerade Priorität, aber das mit der notwendigen sozialen Gerechtigkeit, das passt. Vielleicht motiviert mich auch, dass Martin Schulz zum Kanzlerkandidaten nominiert wurde und nun auch Parteichef ist. Er könnte die SPD wieder auf den richtigen Kurs bringen, weg von der Mitte, wieder nach links. Ansonsten gibt es inhaltlich sehr viele Schnittmengen.
In den vergangenen Jahren habe ich zudem viele echte Sozialdemokraten kennengelernt, die Ihrer Partei trotz Agenda 2010 und GroKos, wenn auch zähneknirschend, treu geblieben sind. Mit etlichen von diesen Menschen kann ich mir sehr gut vorstellen in Zukunft Politik zu machen. Diesbezügliche Aufforderungen von dort an mich gab es in vergangenen zwei Jahren zuhauf. Werde ich dort klarkommen? Wird man mit mir klarkommen?
Nun, ich denke, ich werde es mal drauf ankommen lassen und es versuchen. Mit meinen KollegInnen der SPD-Fraktion im Kreistag bin ich in der Vergangenheit immer bestens klar gekommen und das ist zunächst mal am Wichtigsten. In meinem zukünftigen Ortsverband in Ottweiler kenne ich viele der Aktiven, man ist mir dort sehr gewogen, und vielleicht habe ich Aussicht 2019 von dort für den Kreistag aufgestellt zu werden.
Das war´s dann mal soweit. Die Woche nach der Wahl, bis ich die im Innern zuvor getroffene Entscheidung, die Piraten zu verlassen, dann vollzogen habe, war alles andere als einfach. Schließlich hat meine Zeit dort fünfeinhalb Jahre meines Lebens bestimmt.
Ein guter Zeitpunkt jetzt auch die oben im Titel gestellte Frage zu beantworten, ob ich fünfeinhalb Jahre meines Lebens auf einem „falschen Dampfer“ verbracht habe.
Nun, ich denke nicht. Ich verdanke den Piraten, dass sie mich zur Politik gebracht haben, dass ich gelernt habe wie Politik funktioniert. Auch wenn darunter Dinge sind, von denen ich nicht weiß, ob ich sie unbedingt wissen wollte. Ich durfte dort viele wertvolle Menschen kennen lernen, von denen ich hoffe, dass sie auch in Zukunft noch mein Leben bereichern werden.
Jedenfalls wünsche ich der Piratenpartei, insbesondere meinen verbleibenden KollegInnen bei den Saar-Piraten, für die Zukunft alles Gute. Möge sie den Weg aus der Flaute finden!